Nachhilfe, die gar nicht notwendig ist?

Fragen & Antworten zu didaktischen Problemen, methodische Kniffe für den nächsten Unterrichtsbesuch usw.
Tranquillitas
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Registriert: 09.11.2011, 23:15:36

Nachhilfe, die gar nicht notwendig ist?

Beitrag von Tranquillitas »

Hallo!

Zur Zeit gebe ich Nachhilfe in Latein. Normalerweise Schüler, die bereits gravierende Probleme haben. Nun ist folgender Fall eingetreten und ich hätte gerne euren Rat, denn ich bin hin und hergerissen.

In den Sommerferien wurde ich von Eltern angesprochen, die für ihr Kind eine "lateinische Frühförderung" wünschten. Ich habe mich darauf eingelassen und mit dem Kind noch vor Beginn des Schuljahres in den Sommerferien auf spielerische Weise ein paar Aspekte wie Deklinationen, Verben, Konjugation usw. "angesehen" - vor allem aber stand der Spaß am Fach Latein (was für viele ja zum Hassfach werden kann) im Vordergrund.
(Kann man sich sicher drüber streiten, ob das richtig war. Ich habe das mit gutem Gewissen angenommen, zumal ich gesehen habe, dass der Schüler wirklich darauf brannte, alles über Rom usw. zu erfahren.)

Der Schüler ist generell hoch motiviert, überdurchschnittlich engagiert, evtl. sogar überdurschnittlich intelligent - Abschlusszeugnis an der Grundschule war eine glatte 1.

Nun ist es so, dass eine weitere "Vorarbeit" nicht mehr sinnvoll ist. Und ich den Schüler gerne selbstständig "laufen" lassen würde. Ich habe den Eltern angeboten noch alle zwei-drei Wochen zur Verfügung zu stehen, damit - so es zu Problemen kommen sollte - auf jeden Fall ein Ansprechpartner vorhanden ist.

Soweit so gut. Beim letzten Besuch wurde ich allerdings vehement darum gebeten, dem Kind doch weiter jede Woche zu helfen - ggf. auch bei anderen Hausaufgaben (Fächer, von denen ich keine Ahnung habe, aber 5. Klasse, na gut...). Denn der Übergang zum Gym sei ja sehr schwierig, es wäre besser, wenn "ein Lehrer" bei den Hausaufgaben hilft, nicht die Eltern.

Ich sehe, wie gesagt, noch keine Notwendigkeit dem Schüler zu helfen. Käme mir auch irgendwie seltsam vor, dafür Geld zu nehmen. Ich frage mich auch, ob es dem Schüler nicht vielleicht sogar "schaden" könnte, wenn ich ihm bei den HA helfe. (Wo doch keine Hilfe notwendig ist.)
Was denkt ihr?

Die Argumentation der Eltern war dahingehend, dass sie das zwar auch so sehen, aber auch nicht erst dann um Hilfe bitten wollen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.
Diesen Punkt kann ich auch irgendwie nachvollziehen, genauso, wie das Argument, dass es der Beziehung Eltern-KInd nicht so gut bekommt, wenn diese immer nach den HA gucken.

Der Schüler selber hat mich ebenfalls mehrmals darum gebeten, nicht mit der Nachhilfe "aufzuhören" oder diese nur noch alle drei Wochen stattfinden zu lassen.

Ich bin hin - und hergerissen.

Wäre dankbar für euren Rat.

chilipaprika
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Registriert: 28.08.2009, 10:46:00

Re: Nachhilfe, die gar nicht notwendig ist?

Beitrag von chilipaprika »

Hallo!

Es gibt diese Familien und überengagierten Eltern.

Meine Meinung: Ich habe schon aufgrund genau einer solchen Situation meinen Job im Nachhilfeinstitut verloren. Es war aber vor 13 Jahren im 1. Semester. (es war trotzdem die richtige Entscheidung).

Wenn DU es nicht machst, tut es jemand anders.
Wenn der Junge ganz nett ist und du gerne mit ihm arbeitest, kannst du vielleicht mit ihm Sachen machen (neben einem Teil der Hausaufgaben), die nicht im Schulprogramm stehen, wie römische Antike, Mythologie oder so (ich bin keine Lateinerin aber es lassen sich sicher Sachen finden, die man im Unterricht nicht tut, und wenn es nur ist, Asterix auf Latein zu dechiffrieren).

Ich würde mir das gut angucken und mit dem Jungen absprechen, was ihm Spass machen würde, solange die Noten eh so sind. Wenn er überdurchschnittlich intelligent ist, kann es sicher auch ganz gut sein, ihm Futter zu geben.

Ich hatte mal einen Nachhilfeschüler (allerdings leicht doof und total faul), da musste ich 2 mal die Woche 2 Stunden kommen, um Hausaufgaben in 2 Fächern zu machen. Der Junge hat nie was gelesen, dann habe ich rausgefunden, dass er sich für Mittelalter interessiert. Die HA haben nie mehr als 1 Stunde gedauert (bei 2 Fächern) und dann haben wir die 2. Stunde Bücher über dem Mittelalter gelesen und er hat kaum gemerkt, dass wir damit ziemlich viel Deutsch-Sachen abgearbeitet haben ;-)

Viel Erfolg!

Chili

Tranquillitas
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Registriert: 09.11.2011, 23:15:36

Re: Nachhilfe, die gar nicht notwendig ist?

Beitrag von Tranquillitas »

Hallo!

Danke für die schnelle Antwort!

Sicher, so könnte ich es machen. Einfach fragen, was von Interesse ist und dann dazu etwas (mehr) machen.

Vielleicht kann sich hier jemand noch mal dazu äußern, ob eine nicht notwendige Hilfe - die allerdings gewünscht ist, auch von Seiten des Schülers - evtl. schädlich sein könnte.

Ich gehe nämlich davon aus, dass es auch sehr sinnvoll für den Schüler sein könnte, sein Lern- und Arbeitspensum selber einzuschätzen und zu erledigen.
Wenn dann mal für ein Fach nicht so viel gelernt wird und dabei dann nur ne 3 oder 4 in der Arbeit rauskommt, dann ist das -für mich- durchaus sinnvoll, weil es eben auch eine Art der Organisation ist: Wichtiges von Unwichtigem trennen. :wink:
Ich habe bisher nämlich immer so gearbeitet, vor allem die Selbstständigkeit des Schülers in den Vordergrund zu stellen. Also "Lernen, es selber zu tun". Das kann dieser Schüler durchaus!

Letztendlich geht die Anfrage der Eltern auch gegen meinen pädagogischen "Ehrenkodex", wenn man so will.

Wie gesagt, andererseits kann ich die Eltern verstehen, weil es gerade für einen 5. Klässler ein großer Schritt/ "Schock" sein kann, nun auf einmal auf dem Gym zu sein.

Tranquillitas
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Re: Nachhilfe, die gar nicht notwendig ist?

Beitrag von Tranquillitas »

@ Chili

Und warum hast Du damals nicht im Nachhilfeinstitut weitergearbeitet? Mich würden Deine Beweggründe sehr interessieren, so Du Dich noch erinnern kannst, um mein "Bauchgefühl" besser einschätzen zu können.

chrisy
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Re: Nachhilfe, die gar nicht notwendig ist?

Beitrag von chrisy »

Für solche Eltern ist Bildung wahrscheinlich nicht mehr als eine käuflich erwerbbare Ware. Vermutlich wirst du solche Eltern auch nicht davon überzeugen können, dass man das Kind nun besser alleine machen lässt. Höchstwahrscheinlich machst du solche Eltern (und evtl. auch dich) auch noch glücklicher, wenn du für deine spezielle Leistung einen besonders hohen Preis einforderst. Das beruhigt sie und gibt das Gefühl "etwas für ihren Sohnemann getan zu haben". :wink:
"Das deutsche Schicksal: vor einem Schalter zu stehn. Das deutsche Ideal: hinter einem Schalter zu sitzen."

chilipaprika
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Re: Nachhilfe, die gar nicht notwendig ist?

Beitrag von chilipaprika »

Tranquillitas hat geschrieben:@ Chili

Und warum hast Du damals nicht im Nachhilfeinstitut weitergearbeitet? Mich würden Deine Beweggründe sehr interessieren, so Du Dich noch erinnern kannst, um mein "Bauchgefühl" besser einschätzen zu können.
Hallo!

Eine junge Schülerin zog aus der Schweiz und ihr fehlte ein halbes Jahr Französischstoff. das haben wir in den Sommerferien sehr intensiv aufgearbeitet und nachdem sie schon zwei mal eine 1 bzw. 2 in der Schule geschrieben hatte (also gut 3 Monate nach Schulbeginn), sagte ich zum Nachhilfeinstitutsleiter, dass ich glaube, dass das Mädchen keine Nachhilfe mehr braucht und auf keinen Fall mehr 4 Stunden die Woche.
Es gab auch eine sehr ähnliche Geschichte mit dem Bruder.
Dann meinte er zu mir, ER würde entscheiden, wie lange Nachhilfe geht und solange die Eltern zahlen (40 DM die Doppelstunde, ich hab davon 18 bekommen), dann möchte er nicht am Vertrag ändern.
Etwas anderes mit dem Mädchen, wie Spiele oder Lektüre dürfte ich auch nicht, ( höhere Förderung hätte er teurer abgerechnet und er wollte nicht, dass sie das kriegt, wenn sie nicht zahlen. Er wusste aber, die Eltern würden aufhören, wenn er danach gefragt hätte) er hat immer wieder beobachtet, was wir machen und wir mussten immer das Schulbuch und so angucken und vorlesen. Eine Vorzeigeschülerin aber gelangweilt.

Ich hab gesagt, das kann ich nicht mehr verantworten, er hat mir gesagt, dann soll ich eben weg, habe ich getan. Hab ab dann nur noch privat Nachhilfe gegeben und mit den Eltern und dem Kind nach kurzer Diagnose oder längerer Zeit eben, entschieden, was besser für das Kind ist.

Chili
Zuletzt geändert von chilipaprika am 15.08.2012, 11:35:44, insgesamt 1-mal geändert.

Tranquillitas
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Re: Nachhilfe, die gar nicht notwendig ist?

Beitrag von Tranquillitas »

@ Chili

Das ist ja eine Geschichte... find ich gut, dass Du Dich damals dagegen entschieden hast! Hätte ich in diesem Fall auch nicht anders gemacht.

Bei mir ist es etwas anders, die Eltern reden mir nicht rein, was ich machen soll. Also gut, insoweit, als dass ich nun auch andere HA usw. machen soll... also statt Nachhilfe halt "Hausaufgabenhilfe". Aber wie das abläuft kontrollieren sie nicht, bzw. noch nicht. Und sie gucken auch nicht ins Zimmer rein oder so.
Dann wäre bei mir auch eine Grenze überschritten.

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