Berufswahl - Existenzkrise

Habt ihr Fragen speziell an Ehemalige? Einige Junglehrer, die auch in der Referendarsbetreuung tätig sind, versuchen euch zu helfen.
Afra_123
Beiträge: 8
Registriert: 14.07.2011, 20:25:49

Berufswahl - Existenzkrise

Beitrag von Afra_123 »

Hallo liebe Mitforisten! :-)

Ich bin zwar noch kein Referendar, hoffe aber, bei euch trotzdem etwas Rat finden zu können. Ich bin jetzt sehr bald mit meinem Lehramtsstudium Gymnasium für Englisch und Französisch fertig und mache gerade eine kleine Existenzkrise durch. Vor einiger Zeit glaubte ich, den Lehrerberuf nicht mehr ergreifen zu wollen und habe mich auf die Suche nach Alternativen gemacht, aber nicht so recht eine gefunden. Ich frage mich mittlerweile, wo meine Zweifel eigentlich herkamen und ob sie gerechtfertigt sind. Vielleicht fange ich mal damit an, meine bisherigen Erfahrungen mit dem Unterrichten zu beschreiben, vielleicht in einer etwas kompakteren Kurzform:

1. Unterrichtet habe ich bisher ein paar Stunden in Praktika (insgesamt vielleicht ca. 15 Stunden) und als Fremdsprachenassistent in England (8 Monate Einzelunterricht für Schüler in Deutsch für 12 Stunden die Woche und als Teamteacher sozusagen im Plenum). Meine Dozenten, beobachtenden Lehrer etc. haben immer nur Gutes über mich gesagt ("Sie sehen so aus, als würden Sie das Richtige machen" / "Das hat ausgesehen, als hätten Sie nie irgendwas anderes gemacht" etc.).

2. Wie habe ich mich in meiner Lehrerrolle gefühlt? Eigentlich immer gut. Selbst vor meinen allerersten Unterrichtsstunden habe ich kaum Nervosität verspürt. Ich erinnere mich, dass ich einmal in England mit einer Klasse allein gelassen wurde, um mit ihnen Prüfungssimulationen durchzuführen. Es war unter der Oberfläche zu spüren, dass sie mich testen wollten, also ob sie mir auf der Nase rumtanzen können, aber das ist nie zum Ausbruch gekommen. Auch in vereinzelten Unterrichtsstunden während des Studiums glaubte ich dies bisweilen zu spüren, aber Probleme sind dabei nie entstanden. Ich hatte auch immer das Gefühl, doch auftretende Störungen nicht persönlich zu nehmen, was die Schüler vielleicht merken und dann weniger Lust haben, einen zu ärgern. Ob das daran liegt, dass ich durchaus eine gewisse Autorität ausstrahle, wenn ich das mal so ganz unverblümt fragen darf? Obwohl ich klein und zierlich bin? ;-)

3. Ich gebe sehr erfolgreich Nachhilfeunterricht, will heißen, meine Schüler machen oft in kurzer Zeit anständige Fortschritte.

4. Das Unterrichten an sich hat mir eigentlich auch durchaus immer Spaß gemacht. Ich war mal 2 Wochen lang in einer extrem schwierigen Klasse in einer Grundschule im Praktikum und trotzdem hab ich mich da wohl gefühlt. Und es hat mir auch immer Freude gemacht, Unterricht vorzubereiten, mir zu überlegen, mit welchen Methoden man dies und jenes vermitteln könnte...

Klingt jetzt erst mal eigentlich alles positiv. Was sind Punkte, die mich zweifeln lassen?
Erstens frage ich mich manchmal, wie stressresistent ich eigentlich bin. Generell würde ich mich so einschätzen, dass ich, wenn ich alles unter Kontrolle habe (auch wenn es viel Arbeit ist, aber ich habe einen Plan, eine Ordnung, einen rote Faden), gut zurechtkomme. Kommt aber irgendwie Chaos auf, verunsichert mich das teilweise sehr. Beispiel: die Termine für das schriftliche Examen sind erst recht kurz vor Prüfungsbeginn rausgekommen und man musste sich lange Zeit relativ planlos auf alles gleichzeitig vorbereiten. Das fand ich nicht schlimm wegen der Arbeitslast sondern wegen der Unsicherheit der Situation. Und außerdem bin ich psychisch echt darauf angewiesen, wenigstens einen Tag in der Woche nichts zu machen, was mit offiziellen Arbeitspflichten zu tun hat. Heißt das, ich bin nicht stressresistent? Ich weiß es nicht...
Zweitens glaube ich, dass bei mir der Unterschied zwischen meinem privaten Ich und meinem Lehrer-Ich sehr groß ist und ich frage mich, ob das normal ist oder vielleicht potenziell ungesund. Im Privaten bin ich eher zurückhaltend und vielleicht auch ein bisschen schüchtern. Aber wenn man mich vor eine Klasse gestellt hat, konnte ich mich immer gut durchsetzen und scheine so der Typ "Streng aber fair" zu sein ;-) Wobei ich aber auch nie wirklich wirklich schlimme Disziplinprobleme erlebt habe, das ist halt auch noch so ne Sache. Aber na ja, immerhin in England war ich ja fast ein ganzes Schuljahr und da hab ich auch nix wirklich Schlimmes erlebt. Situationen, wo die Schüler mich testen wollten, kenne ich schon und wie gesagt, das hat immer gut geklappt. Ach, bei alledem stellen sich mir Fragen à la "Wer bin ich und wenn ja wieviele?" ;-)

Vielleicht habe ich auch einfach nur Angst vor dem Ref und das hat meine Sinnkrise ausgelöst. Ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht habt ihr einen Rat und/oder Aufmunterung für mich?

Lieben Dank schonmal für alle eingehenden Antworten!

historikerin74

Re: Berufswahl - Existenzkrise

Beitrag von historikerin74 »

... kurz und knapp:

Deine positiven Erfahrungen
+ Deine Bereitschaft zur Selbstreflexion
__________________________________
= auf jeden Fall ausprobieren

:D :D :D

Gruß und viel Spaß
historikerin74
(die am Anfang längst nicht so weit war, trotzdem erfolgreich abgeschlossen hat und gerne im Job ist)

kecks
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Registriert: 01.04.2009, 6:09:18

Re: Berufswahl - Existenzkrise

Beitrag von kecks »

sehe ich auch so. nur keine panik!

Honeybee
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Registriert: 30.01.2008, 21:32:21

Re: Berufswahl - Existenzkrise

Beitrag von Honeybee »

Das mit dem "doppelten ich", also privat anders sein als in der Schule kann sogar ein Vorteil sein, da es dich klare Grenzen ziehen lässt. Solange das natürlich rüberkommt und von allein so passiert, dass du in der Schule in eine Rolle schlüpfst, kann dir das nur zu Gute kommen.
"Du kennst mich nicht,
Hast mich noch nie gesehen,
Vielleicht liest du meine Worte, wenn sie vor dir stehen."
They'll never know the lovely dance,
Can never feel the touch of night,
For tame birds sing a song
Of freedom while the wild birds fly.

Fränzy
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Re: Berufswahl - Existenzkrise

Beitrag von Fränzy »

Probiere es einfach aus - wenn Du im Ref merkst, dass Dich der Schulbetrieb nicht ausfüllt (oder was auch immer), dann gibt es immer noch andere Alternativen. Insgesamt klingt es bei Dir jedenfalls och schon mal sehr gut, trau Dich nur.

Und falls es im Ref mal echt stressig wird, denk dran, später wird es besser....

ALlerings hast Du zwei Sprachen und viel zu Korrigieren - nicht zu beneiden
שָׁלוֹם

sabbel
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Re: Berufswahl - Existenzkrise

Beitrag von sabbel »

Ich finde, das klingt doch alles seht gut. Selbstbeobachtung ist eine ganz gesunde Sache. Ich frage mich auch ständig, ob ich überhaupt stressresistent genug bin, um das Ref durchzustehen... Aktueller Stand: in vier Monaten habe ich Prüfung und bin bisher, trotz Doppelbelastung durch eigene Kinder mit durchweg guten Noten durch Ref gegangen. Ich nehme mir auch immer mal wieder eine Auszeit von der Arbeit (sonst würden mir meine Jungs auch aufs Dach steigen).

Das Ref hat mich schon so manches Mal zum Weinen gebracht und ich fiebere gerade den Ferien entgegen. ABER: es ist nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt habe. Man muss nur immer mal wieder auf sich selber achten... und das kannst Du anscheinend.

Liebe Grüße

Freak_
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Registriert: 20.04.2007, 13:48:57
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Re: Berufswahl - Existenzkrise

Beitrag von Freak_ »

"streng aber fair" ist doch die beste Mischung, die es gibt. Ich stimme den anderen zu und sage: ausprobieren.

Und zu "Wer bin ich und wenn ja, wie viele?":
Ich glaube nicht, dass es irgendwann mal aufhört, dass ich mich das ständig frage. Ich glaube nicht, dass ich in absehbarer Zeit weiß, wer ich bin und wieviele wird sich mir auch nicht erschließen. Falls doch, ist das gut, aber bis dahin mache ich mal weiter, Rechnungen bezahlen muss man ja immer...
You said I wouldn´t make it but look how far I´ve come!

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